05.11.2021 - 10:10 | Quelle: Transfermarkt.de | Lesedauer: unter 11 Min.
Transfermarkt-Interview
©TM/IMAGO
Am Samstag (15:30 Uhr) kommt es beim Duell des Ersten gegen den Dritten zum Topspiel: Rekordmeister FC Bayern empfängt den sensationell gestarteten SC Freiburg. Innenverteidiger Philipp Lienhart, den im Transfermarkt-Interview genau wie seine Kollegen auf dem Platz derzeit nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, spricht vor der Bewährungsprobe über seinen und den beeindruckenden Weg der Breisgauer, den Freiburger Imagewandel, seine Erfahrungen bei Real Madrid sowie den Unterschied zwischen Christian Streich und Zinédine Zidane. Zudem wirft der 25 Jahre alte Österreicher einen kritischen Blick auf hochverschuldete Klubs und erklärt, welches Verhalten ihn bei manchen Talenten stört.
Vereinsvergleich SC Freiburg FC Bayern München Bundesliga Bundesliga 169,05 Mio. € Marktwert 939,70 Mio. € 1.Liga Ligahöhe 1.Liga 10,80 Mio. € Ausgaben 24/25 142,00 Mio. € Julian Schuster Trainer Vincent Kompany Zum kompletten Vereinsvergleich
Transfermarkt: Dritter mit dem SC Freiburg, Kurs auf einen Champions-League-Platz, als einziges Team noch ungeschlagen, und Sie haben schon zwei Treffer erzielt. Herr Lienhart, so schlecht kann es Ihnen aktuell nicht gehen– oder haben wir etwas übersehen?
Philipp Lienhart: Mir und auch der ganzen Mannschaft geht es in der Tat richtig gut (grinst). Wir sind glücklich, dass wir solch einen Start hingelegt haben. Am Wochenende steht die nächste Riesenaufgabe vor der Tür, aber wir freuen uns darauf. Es macht uns einen Riesenspaß, die Großen zu ärgern.
Leistungsdaten
P. Lienhart Innenverteidiger
SC Freiburg
Saison 21/22–
Bundesliga
Spiele
32
Tore
5
Vorlagen
Transfermarkt: Für unser Interview haben wir auch einige Fragen aus der Community gesammelt. Was ist passiert oder wurde umgestellt, damit Sie diese Torgefährlichkeit für sich entdecken konnten? Einschließlich der Saison 2020/21 haben Sie als Innenverteidiger sechs Tore erzielt. (Frage von SCF-Fan „RG1971“)
Lienhart: Ich hatte auch zuvor immer wieder Chancen, aber damals noch falsche Entscheidungen vor dem Tor getroffen. Anschließend habe ich viel daran gearbeitet, gefährlicher im Strafraum zu agieren: Zum Beispiel wenn der Ball nach einer Ecke abprallt oder herunterfällt, versuche ich mich neu zu positionieren, um einschussbereit zu sein.
Ist der SC Freiburg zu schnell zu gut? Philipp Lienhart sieht keine Gefahren
Transfermarkt: Passend zum sportlichen Höhenflug spielt der SCF nun im neuen Europa-Park Stadion. Besteht Ihrer Meinung nach für den Klub die Gefahr, dass die tolle Entwicklung ein wenig zu schnell voranschreitet? (Frage von „stolzer_badener“)
Lienhart: So wie ich das Umfeld in Freiburg, den ganzen Klub und den Trainer kennengelernt habe, glaube ich nicht, dass das passieren wird. Klar ist der Klub gewachsen, das merkt und sieht man: Wir haben ein größeres Stadion und viele Fans. Im sportlichen Bereich sieht es aktuell schon danach aus, als würde es nach oben gehen. Aber Christian Streich und die Verantwortlichen legen Wert darauf, dass die Entwicklung gesund verläuft.
Transfermarkt: Es wird in solchen Fällen gerne vom Erfolgsrezept gesprochen. Wie lautet es beim SC Freiburg?
Lienhart: Bodenständigkeit, Demut und kontinuierliche Entwicklung. Natürlich hat das auch viel mit dem Trainer zu tun, weil er Spielern relativ schnell die Chance gibt, sich zu beweisen – gerade auch jungen Spielern. Innerhalb der Mannschaft haben wir zudem einen ganz besonderen Teamgeist: Einer kämpft für den anderen. Das sieht man auch auf dem Platz, wie zum Beispiel die Stürmer gegen den Ball arbeiten, das macht es dann für uns dahinter einfacher. Der Zusammenhalt im gesamten Klub ist enorm.
Transfermarkt: Freiburg wird ohnehin seit geraumer Zeit nachgesagt, eine besonders gute Stimmung unter den Spielern vorweisen zu können. Es handelt sich also nicht um eine branchenübliche Erzählung wie zum Teil bei anderen Klubs und entspricht der Realität? (Frage von „Zweitligameister“)
Lienhart: Als ich neu dazugekommen bin, wurde ich tatsächlich extrem schnell und gut von der Mannschaft aufgenommen– ich habe mich direkt wohlgefühlt! Dieses Mannschaftsklima versuchen wir immer beizubehalten, zum Beispiel durch gemeinsame Abendessen. Ich denke, das gelingt uns ziemlich gut, sodass sich Neuzugänge ebenfalls direkt wohlfühlen.
Transfermarkt: Wandelt sich das Image des vermeintlich kleinen Vereins und ist sportlicher Erfolg dauerhaft auf diesem hohen Niveau machbar? Oder ist die aktuelle Phase nur eine Momentaufnahme? (Frage von „maxb132“)
Community Alle Themen rund um den SC Freiburg Jetzt mitreden! Lienhart: Ich glaube schon, dass der Verein – auch mit dem neuen Stadion – diesen Schritt machen will, und dass er dazu in der Lage ist. Wir haben sehr viel Qualität in der Mannschaft und davon auch in der Breite hinzugewonnen. Wir können ohne Probleme innerhalb des Teams Spieler ersetzen, ohne dass Qualität verloren geht. Das sind alles Zeichen für mich, dass das Gebilde immer stabiler wird.
Transfermarkt: Haben Sie im Dreisamstadion eigentlich gemerkt, wenn Sie bergauf oder bergab gespielt haben? (Frage von SCF-Fan „Badenboy“)
Lienhart: Man sieht‘s zwar, aber im Spiel bekommt man das eigentlich nicht mit. Vielleicht war ich mal einen km/h schneller, wenn ich bergab gelaufen bin. (lacht)
Transfermarkt: Der SC Freiburg hält sich bei den Vertragslaufzeiten seiner Spieler generell bedeckt. Wenn wir richtig informiert sind, sind Sie nach Ihrer Verlängerung im Mai nun bis 2024 gebunden. Stimmt das?
Lienhart: Guter Versuch, aber wenn Freiburg die Laufzeiten nicht bekanntgibt, werde ich das höchstwahrscheinlich auch nicht tun. (schmunzelt)
Transfermarkt: Nach Ihrem Marktwert-Anstieg von 800.000 Euro auf 14 Millionen Euro wurde bei Ihnen über den nächsten Schritt und somit einen Wechsel spekuliert. Warum sind Sie dem Verein treu geblieben und haben sogar verlängert? (Frage von SCF-Fan „Browny“)
Lienhart: Weil ich mich im Verein und in Freiburg sehr, sehr wohlfühle. Meiner Freundin geht es genauso. Ich hatte in den Gesprächen mit dem Trainer und den Verantwortlichen nach wie vor das Gefühl, dass meine Entwicklung in Freiburg so positiv weiterverlaufen kann. Ich sehe mich in der Lage, auch hier den nächsten Schritt zu machen. Im Team übernehme ich bereits immer mehr Verantwortung.
Warum soll ich etwas Funktionierendes abbrechen, wenn es so gut läuft?
Transfermarkt: Welche konkreten Optionen hätte es im Frühjahr oder Sommer für Sie gegeben?
Lienhart: Da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner, sondern mein Berater. Für mich war schnell klar, in Freiburg bleiben zu wollen.
Transfermarkt: Offenbar war nichts dabei, was Sie von Ihrer Entscheidung hätte abbringen können.
Lienhart: Nein, denn wie gesagt: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich wegmuss, um mich zu verbessern. Der Verein entwickelt sich kontinuierlich weiter – und ich mich als Spieler ebenso. Warum soll ich etwas Funktionierendes abbrechen, wenn es so gut läuft?
Streich für Lienhart wichtiger Faktor – Real-Rückkehr wäre „sehr großer Schritt“
Transfermarkt: Spieler führen als Hauptargument für den Wechsel nach Freiburg immer wieder Christian Streich an. Entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung, dass der Coach einer der größten Faktoren ist? (Frage von „Zweitligameister“)
Lienhart: Natürlich ist er ein sehr großer Faktor, das steht fest. Der Trainer hat jahrelange Erfahrung in der Bundesliga und generell im Fußballgeschäft. Er hat ein feines Gespür dafür, wie er Spieler anpacken muss, ob es jemand lauter braucht oder mit etwas mehr Ruhe. Darin ist er sehr gut, aber auch das ganze Trainerteam tut sehr viel dafür, um uns Spieler auf das nächste Level zu bringen.
Transfermarkt: Ist Streich so verrückt, wie er gerne beschrieben wird?
Lienhart: Wenn, dann ist er im positiven Sinn verrückt, weil er auf jede Kleinigkeit achtet. Die Videoanalyse kann schon einmal länger dauern, weil er wirklich auf jedes Detail Acht gibt. Aber das macht uns Spieler besser.
Mitarbeiter
C. Streich Alter: 59
SC Freiburg
Alle Saisons -
Alle Wettbewerbe
Spiele
489
Gewonnen
195
Unentschieden
124
Verloren
170
Transfermarkt: Was wäre für Sie Grundvoraussetzung, um über den aktuell gültigen Vertrag hinaus noch länger in Freiburg zu bleiben? (Frage von SCF-Fan „notarztSCF“)
Lienhart: Wenn ich nach wie vor spüre, dass Freiburg der richtige Ort für mich ist, werde ich bleiben. Wenn ich am Ende mit 33 Jahren 300 Bundesligaspiele für Freiburg bestritten habe, wäre ich auf jeden Fall stolz auf meine Karriere und auch zufrieden damit.
Transfermarkt: Sie waren so realistisch, um für sich selbst einschätzen zu können, dass es bei Real Madrid schwer geworden wäre, Sergio Ramos oder Raphaël Varane im Abwehrzentrum zu verdrängen. Freuen Sie sich schon auf ein mögliches direktes Duell nächstes Jahr in der Champions League? (Frage von SCF-Fan „Luddevig“)
Lienhart: Puh, das ist wirklich sehr weit weg (grinst). Darauf schauen wir auch gar nicht, ebenso nicht nach unten im Moment. Wir analysieren stets die Spiele vom vorigen Wochenende und bereiten uns detailliert auf die kommende Partie vor – und dann spielen wir einfach drauflos. Wir haben eine erfolgreiche Serie und die wollen wir so lange wie möglich am Leben halten.
Transfermarkt: Wie sieht’s denn mit einer möglichen Rückkehr zu den „Königlichen“ in der Zukunft aus? Mit 25 Jahren haben Sie ja noch einiges vor sich, und Ramos und Varane sind mittlerweile nicht mehr im Verein…
Lienhart: Der Schritt ist schon sehr groß. Ich müsste mich noch mal richtig weiterentwickeln, um bei Real ein Thema zu sein, das weiß ich. Aber es ist auf jeden Fall schön, dass ich einmal die Möglichkeit hatte, dort zu spielen und im Training mitzubekommen, wie die Spieler arbeiten. Es waren tolle Erfahrungen, die ich gemacht habe. Und wenn mein Weg irgendwann einmal wieder dorthin führen sollte, sage ich wahrscheinlich nicht ‚nein‘ (grinst).
Lienhart wagt Trainervergleich: Zidane war bei Real ruhiger als Streich in Freiburg
Transfermarkt: Sie haben in Madrid Zinédine Zidane kennengelernt. Lassen sich der Franzose und Streich eigentlich in irgendeiner Form miteinander vergleichen?
Lienhart: Das ist schwierig. Ich bin generell nicht der Freund von Trainervergleichen, weil Menschen und somit auch Trainer unterschiedlich sind.
Transfermarkt: Wagen wir einen zarten Versuch…
Lienhart: Christian Streich ist eher emotional. Zidane habe ich am Spielfeldrand ruhiger erlebt. Beide vereint, dass sie Spieler besser machen wollen. Das können beide richtig gut.
Mitarbeiter
Z. Zidane Alter: 52
Transfermarkt: Was ist der größte Unterschied aus Spielersicht zwischen Real Madrid und dem SCF? (Frage von „Browny“)
Lienhart: Real hat noch einmal andere Möglichkeiten, was zum Beispiel das Trainingszentrum anbelangt. Weil Freiburg kleiner ist, ist der Umgang hier familiärer. Jeder kennt jeden, und das macht es besonders für mich.
Transfermarkt: Sie haben zwei Champions-League-Siege mit Real Madrid in Ihrer Vita, ohne zum Einsatz gekommen zu sein. Wie viel Wert legen Sie auf diese Titel? (Frage von SCF-Fan „Dreisamnappi“)
Lienhart: Ich denke eigentlich überhaupt nicht daran - nur alle paar Monate, wenn mich ein Journalist darauf anspricht. (schmunzelt)
Zwei Champions-League-Titel im Portfolio, aber nur 12 Minuten bei den Profis im Einsatz: Philipp Lienhart sammelte von 2014 bis 2017 wertvolle Erfahrungen bei Real Madrid
Transfermarkt: Anfang des Jahres haben Sie bei „t-online“ die „exorbitant großen“ und „absurden“ Ablösesummen kritisiert. Während der Corona-Pandemie wurde aber teils fleißig weiter sehr viel Geld für Topspieler gezahlt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Lienhart: Das einzig Positive, das Corona vielleicht hatte, ist, dass Vereine eventuell zwei- oder dreimal überlegt haben, wieviel sie für einen Spieler ausgeben wollen. Wenn einer 100 Millionen Pfund oder Euro kostet, ist das für mich einfach zu viel. Ich bin kein Fan von solch großen Summen. Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass ein Spieler nicht für die Ablösesumme verantwortlich ist. Solange ein Klub zahlt, was aufgerufen wird, läuft das Geschäft.
Transfermarkt: Von großer Krise war bei manchem europäischen Top-Klub nichts zu spüren. Können Sie nachvollziehen, dass viele Fans dafür nur noch Kopfschütteln übrighaben?
Lienhart: Auf jeden Fall kann ich das verstehen, wenn es um so hohe Millionenbeträge geht – und bei einem selbst das Geld kaum zum Leben reicht. Das ist dann unglaublich schwer zu verstehen und kann durchaus zu Abwendung führen.
Wenn man kein vernünftiges Umfeld hat, ist es schwer, auf dem Boden zu bleiben.
Transfermarkt: Besteht die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit und Bodenhaftung im Profifußball immer mehr abhandenkommt?
Lienhart: Man muss schon festhalten, dass die Stadien Woche für Woche relativ voll sind. Nach wie vor ist das Interesse am Fußball sehr groß. Ich kann es aber nicht verstehen, wenn zum Teil hochverschuldete Klubs noch mehr Schulden machen. Das geht in die falsche Richtung. Anders ist es zum Beispiel beim FC Bayern, der komplett gesund ist und gut gewirtschaftet hat, wenn er einen Spieler für 50 Millionen kauft. Dann ist das sein gutes Recht.
Transfermarkt: Gibt es irgendetwas, das Sie im Profifußball gerne sofort ändern würden?
Lienhart: Hohe Gehälter für junge Spieler sehe ich ebenso kritisch. Es ist gefährlich, wenn man so schnell so viel Geld verdient, weil man so schnell den Fokus und den Blick aufs Wesentliche verlieren kann. Ein junger Spieler denkt dann vielleicht, dass er es eh schon geschafft hat. Oder er fragt sich: Für was sollte ich jetzt noch arbeiten? Auf diesem Wege gehen viele Talente verloren. Wenn man kein vernünftiges Umfeld hat, ist es schwer, auf dem Boden zu bleiben.
Transfermarkt: Haben Sie selbst schon jemanden beiseite nehmen müssen, um ihm zu sagen, dass der dickste Vertrag nicht alles im Leben ist?
Lienhart: Das nehme ich eher von außen wahr. In meinen Mannschaften war das bisher kaum der Fall, in Freiburg ohnehin nicht. Aber bei Real Madrid sieht man durchaus U17-Spieler, die mit 500-Euro-Kulturbeuteln herumlaufen. Ich weiß nicht, ob das unbedingt notwendig ist…
SC Freiburgs Lienhart bescheiden: Alles andere als Klassenerhalt ist Bonus
Transfermarkt: Für den SC Freiburg ist die Saison 2021/22 ein voller Erfolg, wenn was geschieht?
Lienhart: Wenn wir nicht abgestiegen sind.
Transfermarkt: Und was wäre Bonus?
Lienhart: Alles darüber hinaus. Aktuell sieht es gut aus. Wir werden sehen, für was es am Ende reicht.
Transfermarkt: Auch wenn Sie davon noch ein ganzes Stück entfernt sind: Eines Tages findet die Profifußballkarriere ein Ende. Wie bereiten Sie sich bereits jetzt für die Zeit danach vor?
Lienhart: Ehrlich gesagt habe ich mir darüber noch wenig Gedanken gemacht. Momentan ist es aber so, dass ich mich zum Beispiel nicht als Trainer im Profigeschäft sehe. Vielleicht kann ich es mir vorstellen, meine Erfahrungen im Nachwuchsbereich weiterzugeben.
Transfermarkt: Wie lange wollen Sie kicken?
Lienhart: Solange der Körper funktioniert– und es mir Spaß macht.
Interview: Philipp Marquardt (PhilippMrq)
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